Wie spiegeln die Medien Ausstellungen? Und was hat das mit uns Museumsfachleuten zu tun?

Comment

Wie spiegeln die Medien Ausstellungen? Und was hat das mit uns Museumsfachleuten zu tun?

Von Gina Moser und Regula Wyss

Kinos, Opern und Bücher werden meistens differenziert kritisiert und liefern dem Publikum gute Anhaltspunkte über das Angebot. Kritiken über Ausstellungen erschöpfen sich meist in der Beschreibung des Themas oder des Künstlers. Im besten Fall enden sie mit einem Satz zur Szenografie und einem Kasten zu Laufzeit und Öffnungszeiten.

Kinokritiken versprächen mehr Spass für angehende junge KulturjournalistInnen. Um Ausstellungen zu kritisieren, da müsse man vorher besser Kunstgeschichte studiert haben, heisst es auf Anfrage bei Medienschaffenden und Ausbildnern. Doch nicht nur im Journalismus fehlen fundierte Ausstellungsbesprechungen, auch in der Museumsfachwelt gibt es kaum Texte, die Ausstellungen in all ihren Dimensionen würdigen und kritisieren.

Wir haben deshalb einen breiten Kriterienkatalog zusammengestellt. Er dient der kritischen Reflexion über unser Medium Ausstellungen. Einerseits soll er sowohl Museumsfachleuten als auch Journalisten helfen, um über die Qualität von Ausstellungen zu reden und zu schreiben. Andererseits kann er auch von Ausstellungsmacherinnen und -machern als modularer Werkzeugkasten für ihre kreative Arbeit genutzt werden.

Wenn es uns gelingt eine Form von fundierten Ausstellungsbesprechungen zu etablieren, lassen sich vielleicht in Zukunft auch die Medienschaffenden dafür gewinnen.

Wir verstehen die Arbeit am Kriterienkatalog als offenen partizipativen Prozess. Die Inhalte sind nicht abschliessend formuliert. Gerne erhalten wir Euer Feedback und Eure Kommentare dazu unter "COMMENTS" ganz unten auf der Seite.

Comment

Kriterienkatalog

Comment

Kriterienkatalog

Kriterienkatalog

Zur Reflexion über Ausstellungen

 

von Gina Moser und Regula Wyss

Kriterienkatalog als PDF-Download

 

A. Thema, Objekte, Inhalt, Schauwert

01 Welches Thema wird in der Ausstellung vermittelt? Welche Geschichte erzählt?

02 Womit überrascht die Ausstellung, gibt es etwas zum Staunen, macht sie neugierig?

03 Wo liegt der Fokus, werden eher Artefakte präsentiert oder Phänomene veranschaulicht?

untergeordnete Kriterien

04 Woran spürt man eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema? (Oder nicht?)

05 Wo wagt sich das Ausstellungskonzept mit dem Thema auf bisher unbekanntes Terrain?

06 Welche neue Herangehensweise, neue Sichtweise, neue Zusammenhänge vermittelt sie?

07 Auf welche Art ist die Ausstellung lustvoll, abstossend oder bricht Konventionen?

08 Welche relevanten Punkte fehlen in der Ausstellung, die hätten thematisiert werden müssen?

09 In welchen andern Ausstellungen oder anderem Medium wurde das Thema bereits behandelt?

 

B. Zugänglichkeit und Vermittlung

01 Wie wird das Publikum durch die Ausstellung resp. durch die Geschichte in der Ausstellung geführt? (Roter Faden, Orientierung, Wegführung)

02 Wie ist die Ausstellung/Geschichte strukturiert und ist die Struktur hilfreich?

03 Finde ich Antworten auf aufkommende Fragen? (Vertiefung, Interaktion im Raum)

04 Wie intuitiv kann das Thema mittels der Szenografie und Medien** erfasst werden? (Erfassen mittels Gesamteindruck nicht mittels fokussiertem Verstand)

05 Wie werden die Artefakte präsentiert? (themengerecht, ästhetisch, funktional, ergonomisch)

06 Wie werden Phänomene vermittelt? (angemessen, verständlich, interessant, humorvoll)

untergeordnete Kriterien

07 Wie schnell habe ich die Ausstellung verstanden? (Schnelldurchgang, Struktur)

08 Weshalb lohnt es sich in dieser Ausstellung physisch präsent zu sein? Was hätte ich verpasst/gewonnen, wenn ich alles zuhause am Bildschirm betrachtet hätte?

09 Wie lädt mich die Ausstellung ein mit meiner Zeit umzugehen? (z.B. Vergleich zu Film/Theater)

10 Kann die Ausstellung etwas, das andere Medien nicht so gut können? (Vermitteln von Echtheit, Gewissheit, Konfrontation, Einbeziehen von Sinneswahrnehmungen)

11 Wie wird der Austausch mit andern Anwesenden gefördert/verhindert? (gemeinsames Erleben)

 

C. Wirkung

01 Weshalb hinterlässt diese Ausstellung bei mir einen bleibenden Eindruck?

02 Warum habe ich mich in der Ausstellung gut unterhalten? (Oder nicht?)

03 Wie wurde meine Erwartung an die Ausstellung erfüllt?

04 Wie ist die Stimmung der Besuchenden in der Ausstellung?

untergeordnete Kriterien

05 Wie ist die Resonanz beim Publikum in Social Media, im Gästebuch etc.?

06 Weshalb werde ich meine Welt vor und nach der Ausstellung unverändert betrachten?

07 Welche Sprengkraft, welches Veränderungspotential hat die Ausstellung?

08 Welche Gefühle hatte ich in der Ausstellung? (Begeisterung, Ärger, Langeweile)

09 Wie habe ich mich gefühlt nach dem Ausstellungsbesuch? (zufrieden, neugierig, leer, müde)

10 Was habe ich entdeckt, das ich nicht missen oder andern weitererzählen möchte?

11 In welchen andern Ausstellungen (evtl. Filmen/Theater) wurden ähnliche Vermittlungs- oder Gestaltungskonzepte bereits verwendet? Mit derselben Wirkung?

12 Wo und wie wurde wie bereits über die Ausstellung berichtet?

 

D. Texte und Medieneinsatz

01 Wie angemessen und aufeinander abgestimmt ist der Medieneinsatz**? Entsteht ein stimmiger Mix für das Publikum und das Thema?

02 Wie relevant, hilfreich, verständlich sind die Texte in Ausstellung und Vertiefungsmedien?

03 Wie ergonomisch* und nützlich sind die Medien eingesetzt?

untergeordnete Kriterien

04 Wie sind didaktische Mittel und Vermittlungselemente in den Ausstellungsraum integriert?

05 Wie unterstützen multimediale Elemente das Thema?

06 Für welche Publikumssegmente sind die Medien besonders geeignet? (Schulklassen, Kinder, ältere Leute, für alle etwas oder spezifisch für eine Zielgruppe)

 

E. Autorenschaft und Zielsetzung

01 Woran ist die Zielsetzung der Ausstellung erkennbar und wie wurde sie erreicht?

02 Welche Freiräume gibt es zum selbst denken, entdecken, interpretieren?

03 Wie wurden durch Werbung, Flyer/Poster, Webauftritt geweckte Erwartungen vor Ort erfüllt?

untergeordnete Kriterien

04 Welche Haltung ist in der Ausstellung erkennbar? Aus welcher Perspektive beleuchtet sie das Thema?

05 Auf welche Art kann ich den Gedanken der Autoren und Autorinnen folgen?

06 Welches Wissen, welche Werte werden vermittelt?

07 Wer hat die Ausstellung konzipiert, gestaltet, Vermittlungskonzept integriert, interaktive Medien entwickelt, realisiert?

08 Welche anderen Ausstellungen haben diese AutorInnen bereits gestaltet? Gibt es Zusammenhänge?

09 Welche Informationen oder emotionale Inputs fehlen oder sind zu viel?

 

F. Publikumsfreundlichkeit, Versprechen, Zusatzleistungen und Begleitprogramm

01 Wie wurde ich empfangen?

02 Wie gut und wie schnell finde ich meinen Weg?

03 Welche Angebote gibt es für das Publikum? (Aufenthaltsqualität, Sitzgelegenheiten, Barrierefreiheit, Raum, Aussicht, Führungen, Begleitprogramm, Infrastruktur, Shop- und Foodangebot)

04 Welche Angebote für Gruppen gibt es? Wie funktioniert die Ausstellung für Kinder oder ältere Leute, Leute mit Einschränkungen, für TouristInnen, Schulklassen? Für welches Publikum eignet sich die Ausstellung am besten?

untergeordnete Kriterien

05 Wie ist die Qualität der Zusatzangebote? (Shop, Café, Restaurant, Park, Ruhezonen, Kinderbetreuung)

06 Mit welchen Medien, Events, Aktionen ausserhalb der Kulturinstitution ist die Ausstellung vernetzt?

07 Wie passt das Begleitprogramm zur Ausstellung?

08 In welcher Form fehlen ergonomische* Aspekte oder sind gut bewältigt?

 

G. Ausstellungsort

01 Warum werde ich diese Kulturinstitution wieder besuchen? (Oder nicht?)

02 Weshalb passt die Ausstellung in die beherbergende Kulturinstitution? (Oder nicht?)

untergeordnete Kriterien

03 Warum hätte die Ausstellung irgendwo anders ebenso gut stattfinden können? (Oder nicht?)

04 Wie hilft die Ausstellung die ausstellende Kulturinstitution zu profilieren? (Oder nicht?)

05 Welche Chancen, die Raum und Thema geboten hätten wurden verpasst?

 

H. Katalog und Preise

01 Wieviel hätte ich für die Ausstellung bezahlt? Weshalb hätte ich mehr oder weniger bezahlt?

02 Wie gut ergänzt der Katalog oder weitere Medien (wie z.B. Lehrmittel für Schulen) die Ausstellung?

untergeordnete Kriterien

03 Weshalb habe ich mir den Katalog gekauft? (Oder nicht?)

 

Legende

 *     Ergonomie: Medien am richtigen Ort platziert, Typografie gut lesbar, Lautstärken einstellbar und verständlich ohne zu stören. Kinderwagen- und Rollstuhlfreundlich, taktil/akustisch erfahrbare Möglichkeiten.

Fehlende Ergonomie: unübersichtliche Grafik, kleine schlecht entzifferbare Texte, akademische Sprache, Reflexionen im Glas, blendendes oder fehlendes Licht, fehlende Sitzgelegenheiten, Stolpersteine, unangenehme Betrachtungswinkel oder –höhen, zu enge Raumverhältnisse, schlechte Luft, Kälte/Hitze, Lärm, keine Verstellbarkeit von Lautstärken, kein Zugang zu begehrten Punkten, Unklarheit über Verhaltensregeln, schlecht organisierte Wartesituationen, unkomfortable Garderoben/WC etc.

**   Medien- und Raumwirkung: Artefakte, Objekte, Bild, Text, Ton, Video, Ton/Akustik, Games, Tools, Audioguides, Hands-On, Farbe, Lichtführung, Geruch, taktile Flächen, gebaute Räume, Einladung zum Sitzen/Liegen, Wirkung und Beziehungen der Räume, Durchblicke, Stimmungen

 

Weitere Links und Quellen

Links zu Qualitätssicherung im Museumsbereich

Museen als Institutionen haben andere Qualitätskriterien als Ausstellungen. Zum Teil können aber Überschneidungen vorhanden sein.

Vermittlung und Szenografie sollten für eine Ausstellung, die sich am Publikum orientiert, Hand in Hand entwickelt werden.

 

Zukunftskultur für Museen, museums.ch, VMS AMS

Qualitätskriterien für Museen: Bildungs- und Vermittlungsarbeit, Deutscher Museumsbund

Qualitätskriterien Museumsbädagogik, Bundesverband Museumspädagogik

Museums-Gütesiegel, Niedersachsen und Bremen

TMN-Qualitätskriterien, MuseumsMarketing Niedersachsen

Museum-iD - independent thinktank for museum and heritage professinals

ICOM Museum professional standards

Fehlt ein wichtiger Link? Wir freuen uns über einen Hinweis.

moser@ausstellungs-design.ch

 

Weitere Quellen

Katalog entwickelt vom Februar 2015 (Workshop Ausstellungskritik am Szenografie-Kolloquium der DASA bis Juni 2016. Sporadische Aktualisierung je nach Feedback.

In den Katalog ist in vielen Punkte unsere Erfahrung aus Content und Design eingeflossen.

 

«Die Leute sind es Leid, sich sagen zu lassen, was sie wie anschauen sollen. Sie wollen Teil von etwas werden». Marina Abramovic, Interview Sacha Vera, Das Magazin 45/2016

«Was ist eine gute Ausstellung?» Bulletin Seedamm Kulturzentrum, Ausgabe 88/2010

«Für eine neue Qualität der Ausstellungskultur», Szenografie-Gipfel im Stadtmuseum Berlin 

«Kritik in der Krise? Zum wechselvollen Verhältnis von Kultur und Journalismus»

«Unverwechselbare Merkorte. Beschreibungssystem zur mehrdimensionalen Ausstellungsgestaltung»

 

Ausstellungen werden im Spannungsfeld von Inhalten, Publikum, Rahmenbedingungen, Finanzierungsmodellen, Arbeitsmodellen und Organisationsstrukturen entwickelt. Sie sind meistens auch Teilprojekt bei der laufenden Entwicklung und Positionierung eines Museums oder einer Institution. 

Siehe oben: «Museumszukünfte», VMS AMS

 

Publikation des Kriterienkatalogs vollständig oder auszugsweise: unter Angabe der Urheberinnen.

Freie Nutzung des Kriterienkatalogs.

MMWyss, Konzeption und Realisation von Ausstellungsmedien | +41 78 828 51 43 | info@mmwyss.ch

Gina Moser Ausstellungsdesign | +41 79 433 25 78 | moser@ausstellungs-design.ch

 

Comment